Die geistige Entwicklung des Kindes

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Die kognitive Entwicklung des Kindes ist eng verknüpft mit dem Fortschritt in anderen Bereichen wie Wahrnehmung, Bewegung und Sprachentwicklung.

Kind kopfüber
© Getty Images

Die Entwicklung des Denkens ist ein vielschichtiger Prozess. Er ist vor allem mit der Bewegungsentwicklung, der sinnlichen Wahrnehmung wie Hören, Sehen, Fühlen und dem Erlernen der Sprache verknüpft. Im Zusammenspiel von Anlagen, Reifung und Erfahrung lernt Ihr Kind allmählich immer komplexer zu „denken“, wenn auch noch auf seine eigene kindliche Weise. Denn bis ein Kind „erwachsen“ denkt, ist es noch ein langer Weg.

Von Geburt an: Neugier und Wunsch nach Teilhabe

Kinder sind von Anfang an neugierig. Sie wollen die Welt verstehen und daran teilhaben. Bereits das Baby setzt sich auf seine ganz eigene Weise mit seiner Umgebung auseinander. Es begreift und überprüft in seinen spielerischen Beschäftigungen Zusammenhänge, verarbeitet seine Eindrücke und macht im Verlauf des ersten Lebensjahres „spielend“ enorme „Denkschritte“.

2. Lebensjahr: Von Schachteln und Türmen

Mit Beginn des zweiten Lebensjahres beginnen Kinder, sich mit räumlichen Beziehungen auseinanderzusetzen und ihre räumliche Vorstellung zu entwickeln:

  • Im Spiel zeigt Ihr Kind jetzt vermutlich eine besondere Vorliebe für alle möglichen Behältnisse, die es unermüdlich ein- und wieder ausräumen kann: Spielbecher mit Würfeln, Eimer und Förmchen im Sandkasten, Schachteln, Dosen, Schubladen – alles, in das etwas anderes hineinpasst, ist jetzt spannend.
  • Neugierig wird Ihr Kind jetzt auch auf alles, was es stapeln kann. Mit hartnäckigem Eifer kann es sich schon bald damit beschäftigen, aus allem und jedem Türme zu bauen.

Ihr Kind kann nun seine Erfahrungen immer mehr aktiv einsetzen: Wenn der Turm aus Bauklötzen nach unzähligen vergeblichen Versuchen auf einmal stehen bleibt, weil zufällig ein großer Stein zuunterst liegt, wird Ihr Kind von sich aus bei seinen nächsten Turmbauten mit einem großen „Grundstein“ beginnen.

Etwa zur selben Zeit beginnt sich Ihr Kind vermutlich dafür zu interessieren, wie die Dinge funktionieren und wie es sie handhaben kann. Es möchte immer mehr selbst machen: sich mit der Bürste die Haare kämmen, allein mit dem Löffel essen, mit dem Telefonhörer am Ohr telefonieren. Dabei entwickelt es eine immer deutlichere Vorstellung von Handlungen.

Auf dem Weg zu einer stabilen inneren Vorstellung

Ab etwa anderthalb Jahren erkennen Kinder, dass Gegenstände gleich oder verschieden groß sein können. Sie beginnen, Dinge nach bestimmten Eigenschaften zu unterscheiden und zu sortieren und können einfache Formen wie Kreise oder Dreiecke schon bald sicher zuordnen:

  • Mit Vorliebe sortiert Ihr Kind jetzt alle möglichen Dinge nach Form, Farbe, Material, Größe usw.: Löffel auf die eine Seite, Gabeln auf die andere, Holztiere hier, Autos dort.
  • Es bereitet ihm Vergnügen, Formen in die richtige Öffnung eines Formenbretts zu stecken.

Gegen Ende des zweiten Lebensjahres besitzt Ihr Kind bereits eine stabile innere Vorstellung von Gegenständen und Handlungen, die es sich in seinem Spiel einprägt. Wenn etwas nicht vorhanden ist, kann es sich diesen Gegenstand denken oder ein anderer Gegenstand bekommt einfach dessen Bedeutung:

  • Mit seinen Puppen und Stofftieren spielt Ihr Kind kleine Alltagsszenen nach – es gibt der Puppe zu „trinken“, der Teddybär wird „gefüttert“.
  • Ein Stöckchen kann ein Löffel sein, ein Schuh wird zum Auto, ein Karton zum Schiff.

Nach und nach entwickelt Ihr Kind nun die Fähigkeit, sich das Ergebnis einer Handlung vorzustellen, ohne dass es dies praktisch ausprobieren müsste. Aber: Denken und Tun können noch verwechselt werden. Nach dem Motto „Gedacht, getan“ glaubt Ihr Kind dann, etwas schon getan zu haben, was es nur gedacht hat.

3. Lebensjahr: Ichbezogen und magisch

In ihrem dritten Lebensjahr kennen Kinder zwar schon Zusammenhänge von Ursache und Wirkung, können aber beides noch nicht wirklich voneinander unterscheiden:

  • Ursache für das, was geschieht, sieht Ihr Kind in dem, was es selbst denkt und tut.
  • Sein Denken ist sehr ichbezogen: Dass andere Menschen die Welt anders sehen, als es sie selbst sieht, kann Ihr Kind sich nicht vorstellen, und es kann sich noch nicht in andere hineinversetzen.
  • Auch Zeitspannen, in denen etwas passiert, und räumliche Größenverhältnisse kann Ihr Kind noch nicht überblicken und „bedenken“.

Je mehr sich Ihr Kind sprachlich ausdrücken kann, umso mehr ist es in der Lage, Gesetzmäßigkeiten zu erkennen, zu verallgemeinern und zu ordnen. Es bezieht zunehmend Maße, Symbole und Zeichen in sein Denken mit ein und entwickelt einen geradezu unstillbaren Wissensdurst: Von allem und jedem möchte es wissen: „Wie ist das und warum ist das so?“

Gleichzeitig wird das Denken nun zunehmend von der „magischen Phase“ bestimmt: In der Vorstellung eines Kindes ist während dieser Phase nahezu alles möglich.

4. Lebensjahr: Gedächtnis „auf Hochtouren“

Ab etwa vier Jahren entwickeln Kinder ein enormes Gedächtnis und beginnen, einfache Mengen- und Zeitbegriffe zu verstehen:

  • Puzzles, Memorys und Lottospiele stehen jetzt vermutlich hoch im Kurs bei Ihrem Kind.
  • Es lernt mit großem Vergnügen und geradezu mühelos Lieder, Verse und Geschichten Wort für Wort auswendig, und vielleicht rattert es sogar schon Zahlen herunter.

Die Vorstellungen der magischen Phase werden nun zunehmend von dem Kind selbst hinterfragt und weichen langsam aber stetig einem realistischen Denken.

Wieso, weshalb, warum?

Im vierten Lebensjahr geben sich Kinder nicht mehr zufrieden mit dem, was offensichtlich und sichtbar ist: Mit ihren unermüdlichen Fragen „Warum, wieso, wie, woher, wo, wann?“ fragen sie nun verstärkt nach den Hintergründen „ihrer Welt“.

  • Ihr Kind vergrößert zusehends sein Allgemeinwissen und verbessert seine Fähigkeit zum logischen Denken.
  • Es kann nun Grundfarben erkennen und benennen sowie Formen wie Kreis, Quadrat oder Dreieck sicher unterscheiden.
  • Bei Konstruktionsspielen oder beim Sortieren übt es sich im Größen- und Längenvergleich.

Gleichzeitig werden Denken, Fühlen und Handeln Ihres Kindes immer noch maßgeblich durch die magische Phase beeinflusst.

5. Lebensjahr: Bereit für die Schule

Ab etwa fünf Jahren können Kinder die Lösung einer Aufgabe mehr und mehr durchdenken, ohne sie konkret ausprobieren zu müssen. Allerdings lernen sie auch jetzt immer noch am besten durch Erfahrung und eigenes Tun.

Ihr Kind entwickelt allmählich ein Zeitgefühl und hat das Bedürfnis, zu lernen und etwas zu leisten – es wird jetzt bereit für die Schule. Vielleicht versucht es auch schon, seinen Namen aus Buchstaben zusammenzusetzen oder übt sich im Zählen.
Möglicherweise interessiert sich Ihr Kind aber auch noch gar nicht dafür, denn nicht für jedes Kind ist mit fünf Jahren die Welt der Zahlen und Buchstaben schon interessant. Jede Beschäftigung damit sollte deshalb immer freiwillig und spielerisch sein und vor allem Spaß machen.

6. Lebensjahr: Logik im Hier und Jetzt

Im Alter zwischen sechs und sieben Jahren wird das kindliche Denken zunehmend logisch, auch wenn es immer noch an das Hier und Jetzt gebunden ist.

Ab etwa zwölf Jahren unterscheidet sich die Fähigkeit zu denken schließlich kaum noch von der von Erwachsenen.

Verzögerungen in der geistigen Entwicklung

Jedes Kind entwickelt seine geistigen Fähigkeiten auf seine Weise und in seinem eigenen Tempo. Es können sich jedoch auch deutliche Verzögerungen zeigen. Oft sind es Schwächen in anderen Entwicklungsbereichen, welche die Lernfähigkeit des Kindes beeinträchtigen. Bei manchen Kindern können auch genetische Ursachen oder eine organisch bedingte Schädigung des Gehirns in unterschiedlichem Maß die geistige Entwicklung beeinträchtigen.
Damit Ihr Kind, wenn nötig, so früh wie möglich angemessen unterstützt und gefördert werden kann, sollten Sie bei Fragen und Zweifeln rechtzeitig ärztlichen Rat einholen.
(Stand: 1.3.2023)

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